Beschlussvorlage (Neuregelung der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft der juristischen Personen des öffentlichen Rechts - Stadt Lahr -)
21. November 2016
Beschlussvorlage Amt: 201 Dinger Datum: 14.10.2016 Az.: 20/201/Dg Drucksache Nr.: 288/2016 Beratungsfolge Termin Beratung Kennung Abstimmung Haupt- und Personalausschuss 07.11.2016 vorberatend nichtöffentlich Gemeinderat 21.11.2016 beschließend öffentlich Beteiligungsvermerke Amt Handzeichen Eingangsvermerke Oberbürgermeister Erster Bürgermeister Bürgermeister Haupt- und Personalamt Abt. 10/101 Kämmerei Rechts- und Ordnungsamt Betreff: Neuregelung der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft der juristischen Personen des öffentlichen Rechts - Stadt Lahr - Beschlussvorschlag: Der Gemeinderat nimmt die gesetzliche Neuregelung zur Unternehmereigenschaft für juristische Personen des öffentlichen Rechts zur Kenntnis. Der Gemeinderat beschließt, die Anwendung der alten Rechtslage gem. § 2 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) bis zum 31.12.2020. Hierfür wird die Verwaltung ermächtigt, eine entsprechende Optionserklärung gegenüber dem Finanzamt abzugeben. Anlage(n): Optionserklärung der Stadt Lahr/Schwarzwald im Entwurf BERATUNGSERGEBNIS Sitzungstag: Bearbeitungsvermerk Einstimmig lt. Beschlussvorschlag abweichender Beschluss (s. Anlage) mit Stimmenmehrheit Ja-Stimmen Nein-Stimmen Enthalt. Datum Handzeichen Drucksache 288/2016 Seite - 2 - Zusammenfassung: Unternehmereigenschaft (Änderung durch neues Umsatzsteuerrecht) Die Neuregelungen im Umsatzsteuerrecht der juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrifft alleine die Frage, ab wann die juristische Person des öffentlichen Rechts mit der jeweiligen Tätigkeit Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechtes wird. Bisher musste sich die Tätigkeit der Kommune nach deutschem Umsatzsteuerrecht hierfür u.a. wirtschaftlich aus den übrigen Tätigkeiten herausheben. Maßgebend hierfür war neben weiteren Voraussetzungen insbesondere, dass die Tätigkeit der Kommune die Jahresumsatzschwelle von 30.678 € (ab 01.01.2015 auf 35.000 € erhöht) nachhaltig überschritten hat. Nach den neuen Regelungen im Umsatzsteuerrecht ist die Kommune mit der jeweiligen Tätigkeit immer Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechtes, wenn sie auf privatrechtlicher Grundlage handelt. Handelt die Kommune auf öffentlich-rechtlicher Grundlage wird sie mit der jeweiligen Tätigkeit Unternehmer grundsätzlich nur dann, wenn die Tätigkeit im Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern steht und es zu größeren Wettbewerbsverzerrungen durch die Nichtbesteuerung der Kommune kommen kann. Steuerpflicht der Tätigkeit (keine Änderung durch das neue Umsatzsteuerrecht) Ist nach altem oder neuem Umsatzsteuerrecht festgestellt, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts mit der jeweiligen Tätigkeit Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechtes ist, entscheidet sich nach den weiteren Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes (diese haben sich durch die Neuregelungen nicht geändert!) ob die Tätigkeit steuerpflichtig oder steuerfrei ist. Vorschlag zur weiteren Vorgehensweise Da die Auswirkungen der Neuregelungen des Umsatzsteuerrechtes derzeit nur schwer absehbar sind, u.a. liegt ein angekündigtes Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen zu Anwendungsfragen derzeit nur im Entwurf vor, empfiehlt die Verwaltung von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, das bisherige Umsatzsteuerrecht bis zum 31.12.2020 anzuwenden. Dies geschieht durch eine Optionserklärung gegenüber dem Finanzamt. In der Zeit bis zum 31.12.2020 sollen alle vertraglichen Beziehungen durch die Verwaltung gesichtet und insbesondere Verträge auf die Neuregelungen des Umsatzsteuerrechtes „vorbereitet“ werden. Begründung: Altregelung zur umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand Nach dem bis Ende des Jahres 2015 geltenden Umsatzsteuerrecht, sind (u.a.) Kommunen nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (BgA) sowie ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe unternehmerisch tätig. Dies regelte bisher § 2 Abs. 3 UStG. In anderen Bereichen, z.B. bei hoheitlichen Tätigkeiten, der Vermögensverwaltung oder z.B. im Rahmen von Beistandsleistungen, unterlagen die Kommunen nicht der Umsatzbesteuerung. Was ein Betrieb gewerblicher Art ist, ergibt sich bisher nicht aus dem Umsatzsteuergesetz, sondern aus dem Körperschaftsteuergesetz. Nach dem Körperschaftsteuergesetz liegt ein Betrieb gewerblicher Art dann vor, wenn eine Einrichtung vorliegt, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dient und die sich dabei wirtschaftlich heraushebt. Ein wichtiger Anhaltspunkt für das wirtschaftliche Herausheben wird dann gesehen, wenn der Jahresumsatz aus dieser Tätigkeit nachhaltig den Betrag von 30.678,00 € (ab 01.01.2015 auf 35.000,00 € erhöht) überschreitet. Drucksache 288/2016 Seite - 3 - Neuregelung zur umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand Das neue Umsatzsteuerrecht koppelt sich nunmehr komplett vom Begriff des Betriebs gewerblicher Art ab. Für die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft ist nunmehr nicht mehr maßgebend, ob ein Betrieb gewerblicher Art vorliegt. Für z.B. die Körperschaftsteuer ist jedoch weiterhin das Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art entscheidend. Damit müssen bei den einzelnen Steuerarten nunmehr nicht mehr die gleichen Voraussetzungen für eine Besteuerung vorliegen. Die Neuregelungen im Umsatzsteuerrecht wurden u.a. notwendig, da sich die höchstrichterliche Rechtsprechung (Bundesfinanzhof) nunmehr nur noch an den rechtlichen Regelungen der Europäischen Union (z.B. Mehrwertsteuersystemrichtlinie) orientiert. Diese europarechtlichen Vorgaben sehen den Wettbewerbsgrundsatz im Mittelpunkt. So soll eine Kommune ihre Leistungen durch eine Nichtbesteuerung nicht günstiger anbieten können als ein vergleichbarer privater Unternehmer mit dem sie im realen oder potenziellen Wettbewerb steht. Im Rahmen des im November 2015 verabschiedeten Steueränderungsgesetzes 2015 erfolgte die Umsetzung des europäischen Rechtes in die nationale Gesetzgebung mit dem Wegfall des bisherigen § 2 Abs. 3 UStG (der bez. der Unternehmereigenschaft auf das Körperschaftsteuergesetz verwies) und der Einführung des § 2b UStG zum 01.01.2016. Die Änderungen führen zu einer weitreichenden Ausweitung der Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand (nicht jedoch gleichzusetzen mit einer Ausweitung der Steuerpflicht). Im Kalenderjahr 2016 gelten die bisher bestehenden Regelungen zur umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand aufgrund einer Übergangsregelung weiter. Ab dem 01.01.2017 gelten dann grundsätzlich die neuen gesetzlichen Regelungen. Die juristische Person des öffentlichen Rechts kann jedoch dem Finanzamt gegenüber bis spätestens zum 31.12.2016 einmalig erklären, dass sie die alte Rechtslage für sämtliche bis zum 1. Januar 2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwendet. Diese Optionserklärung kann jährlich widerrufen werden. Spätestens am 01.01.2021 ist die neue Rechtslage dann jedoch zwingend anzuwenden. Die neue Rechtslage führt insbesondere zu folgenden Änderungen: 1) Für die Unternehmereigenschaft der Kommune nach dem Umsatzsteuergesetz muss ein Betrieb gewerblicher Art nicht mehr vorliegen. 2) Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage führen grundsätzlich immer zur umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft (es gibt keine betragsmäßige Grenze mehr, die Unternehmereigenschaft liegt „ab dem ersten Euro“ vor). 3) Leistungen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage führen grundsätzlich zur umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft, es sei denn, es liegt kein realer oder potenzieller Wettbewerb mit anderen Marktteilnehmern vor oder dieser Wettbewerb führt nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen. Wettbewerbsverzerrungen sollen z.B. nicht gegeben sein, wenn der Jahresumsatz gleichartiger Tätigkeiten 17.500,00 € nicht übersteigt 4) Bei Leistungen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts muss die Zusammenarbeit durch gemeinsame spezifische öffentliche Interessen bestimmt sein, damit keine umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft vorliegt. Ob die Leistung der Kommune dann steuerpflichtig oder steuerfrei ist, bestimmt sich nach den weiteren Regelungen des Umsatzsteuerrechtes. Diese Bestimmungen haben sich durch das neue Umsatzsteuerrecht der Kommunen nicht geändert! Es können jetzt jedoch potenziell mehr Sachverhalte der Umsatzsteuer unterliegen als bisher. Mit der Umsatzbesteuerung geht grundsätzlich ein Vorsteuerabzug einher. Daher kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass sich steuerpflichtige Leistungen (z.B. für den Bürger) zwingend verteuern müssen. Drucksache 288/2016 Seite - 4 - Weiteres Vorgehen Die Verwaltung schlägt vor, dass die Stadt die alte Rechtslage vorerst bis zum 31.12.2020 anwendet. Hierfür hat die Stadt dem Finanzamt gegenüber eine einmalige und einheitliche (auch für die Eigenbetriebe gültige) Optionserklärung abzugeben. Es besteht jedoch für die Folgejahre die Möglichkeit, diese Optionserklärung für die Zukunft zu widerrufen und dann zum neuen Umsatzsteuerrecht überzugehen. Für die oben beschriebene Vorgehensweise sprechen aus Sicht der Verwaltung folgende Punkte: Bei der Auslegung des neuen § 2b UStG bestehen derzeit noch erhebliche Unsicherheiten, da der Gesetzestext eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen enthält Mittlerweile wurde ein Entwurf eines BMF-Schreibens zur Anwendung von § 2b UStG veröffentlicht. Dieser Entwurf bringt nach Ansicht der Verwaltung keine größeren Klarheiten in Bezug auf die Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 2b UStG In den kommenden Monaten sollen insbesondere die privatrechtlichen Verträge gesichtet und durch ggf. Anpassungen auf das neue Umsatzsteuerrecht „vorbereitet“ werden Anhand eines kostenlosen Erfassungs- und Analysetools zu § 2b UStG, sollen alle relevanten Sachverhalte erfasst und analysiert werden. Ziel ist es dabei auch Informationen darüber zu gewinnen, welche monetären Auswirkungen sich aus dem neuen Umsatzsteuerrecht ergeben Mit der Umsatzbesteuerung von Lieferungen und sonstigen Leistungen der Stadt geht auch die Möglichkeit eines Vorsteuerabzuges einher. Maßnahmen, für die in den nächsten Jahren bei der Stadt ein größerer Vorsteuerabzug erfolgen kann, befinden sich bereits in der Umsetzung (Stichwort: Landesgartenschau) und sind schon nach derzeitigem Umsatzsteuerrecht grundsätzlich vorsteuerabzugsberechtigt. Bei größeren Baumaßnahmen im Schul- und Kindergartenbereich ist nach altem und neuem Umsatzsteuerrecht ein Vorsteuerabzug nicht möglich, da diese Einrichtungen steuerfreie Ausgangsumsätze haben (Steuerfreiheit der Ausgangsumsätze schließt den Vorsteuerabzug grundsätzlich aus). Ggf. sind Änderungen hinsichtlich personeller, finanztechnischer und organisatorischer Abläufe vorzunehmen, welche analysiert werden sollen Inwiefern die Endfassung des BMF-Schreibens zur weiteren Rechtssicherheit beiträgt oder es neue Problemfelder aufwirft, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. Sowohl vom Städtetag als auch von Steuerberatern wird derzeit empfohlen, auf Basis dieses BMF-Schreibens die Sachverhalte und Risiken eingehend zu untersuchen, zu bewerten und die notwendigen organisatorischen Änderungen vorzunehmen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass durch die Ausweitung der Unternehmereigenschaft ein deutlich erhöhter Arbeitsaufwand erforderlich ist. Die Verwaltung bittet um Zustimmung zur dieser Vorlage, damit die Stadt rechtzeitig bis spätestens am 31.12.2016 eine Optionserklärung zum bisherigen Umsatzsteuerrecht abgeben kann. Die vorgesehene Optionserklärung kann der Anlage entnommen werden. Dr. Wolfgang G. Müller Oberbürgermeister Markus Wurth Stellv. Stadtkämmerer