Navigation überspringen

Beschlussvorlage (Klageverfahren Zensus 2011)

30. September 2019
                                    
                                        Beschlussvorlage
Amt: 30
Stampf

Datum: 02.09.2019 Az.: 065.05/P14- Drucksache Nr.: 240/2019
14

Beratungsfolge

Termin

Beratung

Kennung

Abstimmung

Haupt- und Personalausschuss

16.09.2019

vorberatend

nichtöffentlich

Gemeinderat

30.09.2019

beschließend

öffentlich

Beteiligungsvermerke
Amt
Handzeichen

Eingangsvermerke
Oberbürgermeister

Erster Bürgermeister

Bürgermeister

Haupt- und Personalamt
Abt. 10/101

Kämmerei

Rechts- und
Ordnungsamt

Betreff:

Klageverfahren Zensus 2011

Beschlussvorschlag:

Der Gemeinderat beauftragt die Verwaltung, die gegen das Zensusergebnis 2011
gerichtete Klage zurückzunehmen.

BERATUNGSERGEBNIS

Sitzungstag:

Bearbeitungsvermerk

 Einstimmig  lt. Beschlussvorschlag  abweichender Beschluss (s. Anlage)
 mit Stimmenmehrheit

Ja-Stimmen

Nein-Stimmen

Enthalt.

Datum

Handzeichen

Drucksache 240/2019

Seite - 2 -

Sachdarstellung:
Aufgrund von Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Zensusergebnisse hatten viele Kommunen
bundesweit gegen die Entscheidung der Statistischen Landesämter Klage erhoben. Die in
Baden-Württemberg nahezu durchgehende Feststellung der Reduktion der jeweiligen kommunalen Bevölkerung hatte natürlich Auswirkungen auf die Finanzverteilung durch den Länderfinanzausgleich.
Die Stadt Lahr hatte gegen den Feststellungsbescheid des Statistischen Landesamtes vom
21. Juni 2013 zunächst fristwahrend am 05. Juli 2013 Widerspruch eingelegt. Die Widerspruchsbegründung wurde am 11. Oktober 2013 nachgereicht und orientierte sich inhaltlich
an der Musterbegründung des Städtetags. Im Wesentlichen waren damals folgende Überlegungen ausschlaggebend:
1. verfassungswidriges Gesetz:
Mangels ausreichender Qualitätssicherungsverfahren und ungleicher Behandlung zwischen
Kommunen unter und über 10.000 Einwohnern sei das Zensusgesetz 2011 sowie die Stichprobenverordnung, auf denen der angefochtene Bescheid aufbaue, verfassungswidrig; es
fehle dem Zensusgesetz zudem an einer Regelung zur Bevölkerungsfortschreibung.
2. rechtswidrige Durchführung:
Man vermutete zudem Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben bei der Anwendung
des Gesetzes in Lahr. Die Argumentation von 2014 stützt sich hier notgedrungen auf Vermutungen. Verkürzt zusammengefasst wurde dabei kritisiert, dass Unterschiede zu den eigenen
Registerzahlen bestünden. Zudem sei der Fehlerquotient in anderen Kommunen teilweise
über dem gesetzlich zulässigen Wert und das der Zählung zu Grunde liegende Anschriftenund Gebäuderegister vermutlich fehlerhaft.

Am 15. Januar 2014 beauftragte der Gemeinderat die Verwaltung, Klage gegen das Zensusergebnis zu erheben. Die Verwaltung hat am 30. Mai 2014 Klage beim Verwaltungsgericht
Stuttgart eingereicht. Inhaltlich wurde auf die Widerspruchsbegründung verwiesen sowie beantragt, das Verfahren angesichts mehrerer anhängiger Pilotverfahren ruhen zu lassen.
Nachdem in den vergangenen Jahren einige erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen ergangen sind, befand das Bundesverfassungsgericht am 19. September 2018 auf die Anträge
der Länder Berlin und Hamburg in einem Verfahren der verfassungsrechtlichen Prüfung,
dass das damalige Zensusgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Für die Klage der Stadt Lahr bedeutet das aus Sicht der Verwaltung, dass das Bundesverfassungsgericht über die zu Ziffer 1 genannte Argumente entschieden hat. Die Urteilsbegründung lässt aber auch Rückschlüsse auf die unter Ziffer 2 geäußerte Kritik zu.
Der Rechts- und Verfassungsausschuss des Städtetags hat über das Ergebnis dieser
höchstrichterlichen Entscheidung beraten. Zusammengefasst gibt der Städtetag hierzu folgende Empfehlung ab:
Der Städtetag empfiehlt die Rücknahme der Zensusklagen, wenn sie sich ausschließlich auf
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung zum Zensus 2011 stützen. Ob die
Klagen jener Kommunen, die weitere Gründe als die oben Genannten als Klagebegründung
angeführt hatten, weitergeführt werden sollen, obliegt den Kommunen selbst. Bei dieser Entscheidung sollte allerdings bedacht werden, „ob eine Beweisführung trotz fehlenden Zugriffs
auf Erhebungsergebnisse möglich ist“.
Genau dies stellt momentan eine erhebliche Hürde für den erfolgreichen Prozess dar. Die
Statistischen Landesämter verweigern nach wie vor die Akteneinsicht in die relevanten Unter-

Drucksache 240/2019

Seite - 3 -

lagen unter Berufung auf das Statistikgeheimnis. Damit lässt sich das Argument einer
rechtswidrigen Gesetzesanwendung nicht tauglich vorbringen.
Für die Argumentation unter Ziffer 2 bedeutet dies:
Der Bundesgesetzgeber hat aufgrund des neuen Verfahrens zur Einwohnerermittlung Qualitätskriterien definiert. Dabei ging der Bund von einem „einfachen relativen Standardfehler“
von bis zu 0,5 v.H. aus. Dieser Wert wurde von 62 v.H. der Städte und Gemeinden überschritten. In Lahr ist dieser Wert aber eingehalten. Rückschlüsse aus der Überschreitung des
Fehlerquotienten bei anderen Städten auf Fehler gerade für den Fall Lahr basieren momentan auf einer Annahme. Ein Nachweis kann ohne fundierte Datengrundlage und eine zusätzliche statistische Auswertung nicht gelingen.
Unterschiede zu eigenen Registerzahlen sind nur bedingt zielführend. Es ist gerade höchst
wahrscheinlich, dass das Zensusverfahren eine Abweichung von kommunal erfassten Zahlen
aufweist, auch wenn das rechtmäßige Gesetz korrekt angewendet wurde. Eine fehlerhafte
Durchführung muss aber durch Fehler in der Anwendung und nicht durch Abweichungen von
kommunalen Registern oder gar der Realität begründet werden.
Ohne Zugriff auf die Erhebungsmethodik ist eine Beweisführung faktisch unmöglich. Selbst
wenn die Hintergrunddaten im Verfahren doch erwirkt werden können, so kann im Moment
nicht prognostiziert werden, ob tatsächlich in relevanter Weise vom Gesetz abgewichen wurde. Voraussetzung wäre, dass ein statistisches Parteibegutachtung der Stadt dann tatsächlich Fehler in der Anwendung aufzuzeigen vermag.
Anlässlich des genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes und der nun alternativ zu
tätigenden Investitionen vor dem Hintergrund einer notwendiger Weise auf Vermutungen gestützten Kritik wird dem Gemeinderat empfohlen, die Verwaltung mit der Rücknahme der
Klage zu beauftragen.
Mangels konkreter Fallzahlen lässt sich der finanzielle Nutzen bei einem positiven Prozesses
nur schwer prognostizieren.
Die Zensusklagen hatten im Hinblick auf den Zensus 2021 mehrere positive Effekte. Die
Kommunen wurden und werden in die Vorbereitung des Zensus 2021 enger eingebunden.
Zudem ist der Bund gehalten, die Vorschläge der Kommunen zur Verbesserung der Zensusgesetzgebung zu prüfen und aufzugreifen.

Schöneboom
Erster Bürgermeister

Tilebein
Amtsleitung