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Informationsvorlage (Wettbürosteuer; Auswirkung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.02.2024)

                                    
                                        Informationsvorlage
Federführende Stelle: 202
Sachbearbeitung: Singler

Drucksache Nr.: 61/2024
Az.: 968.41

An der Vorlagenerstellung beteiligte Stellen

Beratungsfolge

Termin

Haupt- und Personalausschuss

06.05.2024

Beratung

Kennung

Abstimmung

öffentlich

Betreff:
Wettbürosteuer;
Auswirkung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.02.2024

Mitteilung:
Infolge der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.02.2024 wurde die
Wettbürosteuersatzung der Stadt Lahr aufgehoben und Klägern Wettbürosteuern in Höhe
von 127.468,58 € sowie Zinsen in Höhe von 30.056 € erstattet.

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Sachdarstellung
Aktuelle Situation und Handlungsnotwendigkeit:
Der Gemeinderat hat in seiner Sitzung am 11.06.2018 die Satzung über die Erhebung einer Vergnügungssteuer auf das Vermitteln oder Veranstaltung von Pferde- und Sportwetten (Wettbürosteuersatzung) beschlossen. Die Satzung galt ab dem 01.07.2018. Hintergrund für die nach 2013
erneute Beschlussfassung über die Einführung einer Wettbürosteuer waren mehrere Urteile des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 29.06.2017.

Das BVerwG kam in den Urteilen konkret zu folgenden Ergebnissen:

Bei einer Steuer, die das Wetten in Einrichtungen besteuert, die neben der Annahme von Wettscheinen auch das Mitverfolgen der Wettereignisse auf Monitoren ermöglicht (Wettbüros), handelt
es sich um den Typus einer örtlichen Aufwandsteuer im Sinne des Artikel 105 Abs. 2a GG.
Die Satzungen der zuvor beklagten Kommunen verstoßen nicht
-

gegen das Gleichartigkeitsverbot,

-

gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung,

-

gegen die Berufsfreiheit des Artikel 12 Abs. 1 GG,

-

gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG, auch unter dem Gesichtspunkt der Nichtbesteuerung von Wettannahmestellen (ohne Mitverfolgungsmöglichkeit).

-

Die Steuer ist jeweils kalkulatorisch abwälzbar.

Zu einer gleichheitswidrigen Besteuerung im Sinne von Artikel 3 Abs. 1 GG führte allerdings der
damals noch gewählte Flächenmaßstab, da mit diesem Maßstab gravierende Abweichungen von
dem wirklichen Vergnügungsaufwand der Wettkunden verbunden sind und mit dem Wetteinsatz ein
praktikabler Wirklichkeitsmaßstab zur Verfügung steht. Die Sportwettensteuer nach § 17 Abs. 2
Rennnwett- und Lotteriegesetz wird anhand des Wetteinsatzes erhoben, so dass dieser Maßstab
auch für die kommunale Steuer praktikabel ist.

Die neue Wettbürosteuersatzung der Stadt Lahr wurde sofort nach Erlass rechtlich angegriffen. So
wurde gegen fast alle Bescheide Widersprüche erhoben und auch Normenkontollklage beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) erhoben. Der VGH hat am 19.01.2021 die erhobene Klage zunächst abgewiesen, da er die Satzung im Einklang mit der Rechtsprechung des
BVerwG sah. Die Revision dagegen wurde nicht zugelassen.

Der unterlegene Kläger hat daraufhin beim BVerwG erfolgreich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere oberverwaltungsgerichtliche Entscheidungen
dort anhängig.

Im September 2022 hat das BVerwG dann eine neue Entscheidung zur Zulässigkeit einer Wettbürosteuer anhand der Satzung der Stadt Dortmund mit gegenüber der bisherigen Rechtsprechung
völlig gegensätzlicher Richtung getroffenen, ohne dass es zwischenzeitlich gesetzliche oder Änderungen sonstiger Art geben hatte. Dabei hatte das BVerwG zunächst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Übernachtungssteuer der Stadt Freiburg abgewartet. In die-

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ser Entscheidung hatte das BVerfG nähere Ausführungen zur Gleichartigkeit gemacht. Demnach
verlange Art. 105 Abs. 2a S. 1 Grundgesetz "dass der steuerbegründende Tatbestand nicht denselben Belastungsgrund erfasst wie eine Bundessteuer, sich also in Gegenstand, Bemessungsgrundlage, Erhebungstechnik und wirtschaftlicher Auswirkung von der Bundessteuer unterscheidet." Ausdrücklich ausgenommen sind dabei "herkömmliche örtliche Steuern", das meint solche,
die zum Zeitpunkt der Einführung des Abs. 2a ins Grundgesetz (1969) bereits bestanden. Die Beurteilung der Gleichartigkeit erfordere, so das Gericht, "eine Gesamtbetrachtung der Übernachtungsteuer einerseits, eventuell gleichartiger Bundessteuern andererseits". Das eigenständige Steuererfindungsrecht der Länder oder Kommunen solle auch für die Zukunft nicht übermäßig durch die
vorhandenen Bundessteuern beschränkt werden. Das BVerfG zieht zum Vergleich ein paar Besteuerungsbeispiele (Kfz-Steuer, frühere Einwohnersteuer und Sektsteuer) heran. Das Rennwett- und
Lotteriegesetz wird jedoch nicht benannt, dennoch vom BVerwG für die Bewertung der Gleichartigkeit der Wettbürosteuer herangezogen. Mit der Feststellung der unzulässigen Gleichartigkeit einer
Wettbürosteuer wird einer kommunalen Wettbürosteuer durch das BVerwG generell der Boden entzogen und die Kommunen dürfen die bauplanungsrechtlich als Vergnügungsstätten einzustufenden
Wettbüros nicht mit einer Vergnügungssteuer in Form einer Wettbürosteuer belegen. Den Kommunen wird dadurch eines der wesentlichen Bestandteile der Vergnügungssteuer, nämlich die Lenkungswirkung über die Besteuerung, entzogen.

Das Verfahren der Stadt Lahr war zuletzt noch das einzige, bundesweit anhängige offene Verfahren. Dieses wurde dem BVerwG zur Entscheidung zugetragen, um eine für die Stadt Lahr aber
auch die gesamte bundesdeutsche kommunale Familie günstigere Entscheidung zu erreichen. Dabei wurden in der schriftlichen Begründung die Differenzen zwischen Tenor und Begründung der
Entscheidung aus dem Jahr 2022 sowie die offensichtliche Widersprüchlichkeit der Entscheidungen
2017 zu 2022 aufgezeigt. Ebenso wurde beanstandet, dass das BVerwG den Kommunen im Jahr
2017 ein vermeintlich gangbarer Weg in eine zulässige Besteuerung aufgezeigt hatte und genau
diese Möglichkeit später dann mit der Entscheidung aus 2022 verwarf. Man verband auch die Hoffnung damit, dass das BVerwG wegen der Frage der Gleichartigkeit die Sache dem BVerfG zur
Entscheidung vorlegt. Verfahrenstechnisch ist dies den Kommunen verwehrt. Der Kläger hingegen
wäre im Falle eines Unterliegens dazu berechtigt gewesen.

Das BVerwG folgte den Argumenten letztlich nicht und hat am 29.02.2024 die Revision gegen das
Urteil des VGH bestätigt. De Wettbürosteuersatzung der Stadt Lahr wurde für nichtig erklärt.

Die Verwaltung hat in der Folge die angefochtenen Bescheide des Klägers aufgehoben, wobei nicht
alle Bescheide seit 01.07.2018 durchgängig angefochten waren. Dem Kläger wurden Vergnügungssteuern in Höhe von 124.430,79 € zurückerstattet. Des Weiteren wurden Zinsen in Höhe von
29.948,00 € erstattet.
Einem weiteren Wettbürobetreiber wurden für ein verfahrenstechnisch noch offenes Quartal Vergnügungssteuern in Höhe von 3.037,79 € und Zinsen in Höhe von 108,00 € erstattet.

Alle anderen ergangenen Steuerbescheide sind inzwischen bestandskräftig. Insgesamt wurden im
Zeitraum 01.07.2018 bis 30.06.2022 Wettbürosteuern in Höhe von insgesamt 424.642,57 € erhoben. Davon waren 127.468,58 € zurückzuerstatten. Die veranlagten Jahresaufkommen schwanken

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wegen der Einschränkungen durch die Coronapandemie erheblich. Zeitweise waren die Einrichtungen ganz geschlossen. Später wurden nur Wettabgaben an Terminals erlaubt. Monitore zum mitverfolgen der Sportereignisse durften nicht betrieben werden. Der Besteuerungstatbestand griff
nach Auffassung der Steuer erhebenden Stelle jedoch nur durch die Kombination aus der Möglichkeit der Mitverfolgung und dem Wettgeschehen. Daher wurden diese eingeschränkten Zeiträume
steuerlich nicht erfasst. Mit der Entscheidung des BVerwG wurden die Zeiträume ab dem III. Quartal
2022, also ab der Zeit der neuen Entscheidung des BVerwG, nicht mehr erhoben. Wäre die Entscheidung des BVerwG anders ausgefallen, hätten diese Zeiträume nacherhoben werden können.
Jahresdurchschnittlich lagen die Vergnügungssteuern aus der Wettbürosteuer bei rund 120.000 €.
In dieser Höhe liegen nun die jährlichen Mindereinnahmen.

Markus Ibert
Oberbürgermeister
Zielsetzung:
Information des Rates über die Auswirkungen der Rechtsprechung.

Anlage(n):
Anlage0

Markus Wurth
Stadtkämmerer